Mittwoch, 15. Dezember 2010

Langweiler des Monats

15. Dezember 2010
Arbeitet im Jugendamt von Münster

Ein Mann aus Münster sucht am Idenbrockplatz eine Pflegefamilie. Da liegt eigentlich die Vermutung nahe, dass dieser Zeitgenosse von den aktuellen Schlagzeilen über den drohenden Pflegenotstand aufgeschreckt worden ist und sich deshalb schon jetzt auf die Suche nach einer Unterstützung im Alter macht, damit er doch noch beizeiten eine Pflegekraft abstaubt, die ihm dermaleinst morgens die Medikamente ins Haus bringt und mittags das Essen in die Küche rollt.

Doch dem ist nicht so. Dieser Mann sucht gar nicht für sich selbst. Der sucht eine Pflegefamilie für eine Eineinhalbjährige. Dieser Mann arbeitet im Jugendamt von Münster. Das gerade von der Stadt einen finanziellen Nachschlag von 2 Millionen Euro bekommen  hat.

Dieses Geld muss doch irgendwie ausgegeben werden. Auch in Berlin steigen die Jugendhilfe-Kosten. Deshalb lässt der Finanzsenator Ulrich Nußbaum Jugendamts-Akten sichten. Wäre auch in Münster angebracht. Vornehmen sollte man sich dort: Wir schauen uns einmal die Fälle an, die besagter Mann am Idenbrockplatz bearbeitet.

Feststellen würde man dann: Die Suche nach einer Pflegefamilie für jene Eineinhalbjährige ist völlig sinnlos. Die Mutter der Kleinen wohnt nicht nur einen Steinwurf weit entfernt von dem Arbeitsplatz dieses Mannes, sie ist auch durchaus in der Lage, dem Mädchen ein tolles Zuhause zu geben. Kind zur Mutter bringen und so Steuergelder sparen wäre also ein Leichtes.

Doch dieser Mann, der am Idenbrockplatz eine Pflegefamilie sucht, ignoriert einfach alles. So nimmt er auch nicht zur Kenntnis, dass nicht nur die Großmutter, sondern auch andere der Behörde und Gerichten mitgeteilt haben: Wir helfen der Mutter, wenn Hilfe notwendig ist.

Und so wird wieder geschehen, was schon geschehen ist: Dieser Mann findet eine Pflegefamilie, die erfährt, dass die Mutter mit ihren Verbündeten um die Kleine kämpft und schon macht sich die Pflegefamilie wieder vondannen.

Und wenn er nicht gestorben ist, arbeitet dieser Mann auch noch in zehn Jahren im Jugendamt von Münster und wirft Geld aus dem Fenster. Das leider nicht real auf den Bürgersteig flattert, dort von Eltern aufgesammelt und im benachbarten Aldi-Markt ausgegeben werden kann. Das verschwindet in anderen Kanälen.

Mit seiner fortwährenden Suche nach einer Pflegefamilie wird dieser Mann zwar zum Langweiler des Monats, dennoch sollte man sich über ihn aufregen...

Sonntag, 12. Dezember 2010

Richter Schulz

12. Dezember 2010
Erwecken Sie bloß nicht einen Eindruck!

Das Landgericht von Hamburg hat zwei Kammern, in denen das Grundgesetz gelegentlich außer Kraft gesetzt wird. Der Hamburger Justizkritiker Rolf Schälike nennt sie "Zensurkammern", besucht die Verhandlungen und übt scharfe Kritik. Auch am Freitag hat der Sievekingplatz in seinem Terminkalender gestanden. Dieses Mal war er beim Vorsitzenden Richter Schulz, dessen Kammer die Nummer 25 bekommen hat.

In der Terminrolle stand ein gar merkwürdiges Verfahren. Ein Mehrfach-Kläger hatte sich darüber aufgeregt, dass jemand über einen Beschluss berichtet hatte, den dieser Kläger in anderer Sache vor dem Hamburger Landgericht erwirkt hatte. Das tat der Beklagte in wortwörtlicher Wiedergabe dieses Beschlusses, der mit einem Kurzkommentar versehen wurde. Der lautete: "Nun haben aber auch mir ehemalige Klientinnen berichtet, dass sie erlebt haben, was der Kläger per Beschluss bestreiten will. Solche Aussagen liegen mir in schriftlicher Form vor, andere sind telefonisch gemacht worden." Das fand am Freitag auch der Vorsitzende Richter Schulz nicht gut. Für die Verurteilung des Beklagten bediente er sich eines Tricks.

Dem Beklagten wurde nicht etwa vorgeworfen, er habe die Unwahrheit verbreitet. Die Wahrheit reichte aus. Wie nur hat der Vorsitzende Richter Schulz das geschafft? Er behauptete einfach, der Beklagte habe mit seiner Veröffentlichung "einen Eindruck erweckt", der den Kläger in negativem Licht erscheinen lasse. Um Zweifel an seiner Entscheidung zu zerstreuen, setzte Schulz den Streitwert auf 20 000 Euro fest.

Das ist schön teuer für den Beklagten, erfreulich für den Kläger und bedeutet fortan für jeden Gerichtsreporter: Immer für richtig halten, was vom Hamburger Landgericht entschieden wird. Auch Anmerkungen, die der Wahrheit entsprechen, sofort wieder im Papierkorb verschwinden lassen. Also keinesfalls den Eindruck erwecken, dass man als Reporter auch selbst Ohren und Augen hat. Justicia ist blind - wer was gesehen oder gehört hat, wird zum Schweigen verurteilt.

Und wenn es Zeugen gibt, die den Eindruck erwecken, dass sie für den Beklagten aussagen wollen? Mag der Vorsitzende Richter Schulz nicht. Schließlich will er nicht den Eindruck erwecken, dass er sich Mühe gibt...

Az. 325 O 172/10

Freitag, 3. Dezember 2010

Virginia und das Jugendamt

3. Dezember 2010
Es gibt das Jugendamt von Münster

Die achtjährige Virginia aus New York hat 1897 an die Zeitung "SUN" diesen Brief geschrieben:

"Ich bin acht Jahre alt. Einige von meinen Freunde sagen, es gibt keinen Weihnachtsmann. Papa sagt, was in der SUN steht, ist immer wahr. Bitte sagen Sie mir - gibt es einen Weihnachtsmann?

Virginia O´Hanlon"

Die Antwort an die kleine Virginia schrieb der beste Kolumnist des Blattes, sie begann so: "Liebe Virginia, deine kleinen Freunde haben nicht Recht. Sie glauben nur, was sie sehen; sie glauben, dass es nicht geben kann, was sie mit ihrem kleinen Geist nicht erfassen können."

Diese kleine Virginia und dieser Kolumnist sind schon lange tot. Doch dieser Brief gehört zur Weihnachtszeit wie ein Tannenbaum. Ich habe im Namen dieser kleinen Virginia schon Briefe an die Bundeskanzlerin, an die Bundesfamilienministerin und an Alice Schwarzer geschrieben. Heute tue ich es wieder:

"Ich bin acht Jahre alt. Ich habe eine kleine Freundin, die ist 17 Monate alt und ich habe einen kleinen Freund, der ist drei Jahre alt. Seit einem halben Jahr dürfen sie sich nicht mehr sehen. Mein Vater sagt, das liegt am Jugendamt von Münster. Deshalb frage ich Sie: Gibt es das Jugendamt von Münster?"

"Liebe Virginia,

dein Vater hat Recht. Es gibt das Jugendamt von Münster, weil irgend jemand immer ein besserer Vater sein muss als dein Vater. Das ist nicht immer leicht und wäre noch schwerer, wenn man Geschwister nicht trennen würde. Würde dieses Jugendamt Kinder nicht trennen, wäre in der Behörde immer noch ein kleiner Flackerrest von Erinnerungen an die eigene Kindheit. Dieser Flackerrest würde die so wichtige Arbeit des Jugendamtes behindern.

Unser Menschengeist ist klein, der Behördengeist des Jugendamtes von Münster dagegen ist so groß, dass er sich nicht einmal im Weltall verliert. Du kannst die Funksprüche der Lebewesen, die es auf anderen Planeten gibt, nicht hören. Aber es gibt sie. Wenn erst die notwendigen Raumschiffe gebaut und alle Kinder dieser Außerirdischen herausgeputzt sind, werden sie sofort zum Jugendamt von Münster starten, denn wo könnten sie es besser haben als in der Hafenstraße?

Ja, Virginia, in Münster gibt es eine Hafenstraße. Es gibt sie so gewiss, wie es Paragraphen gibt, die man im Jugendamt von Münster nicht kennt. Sie müssen dort auch nicht bekannt sein, denn nichts soll die Arbeit des Jugendamtes von Münster in die Dunkelheit von Gesetzen tauchen.

Das Licht, das dieses Jugendamt ausstrahlt, müsste sonst verlöschen - und deine beiden kleinen Freunde würden sich wiedersehen. Und schon würden deine beiden kleinen Freunde und du den Märchen glauben. Gewiss könntest du deinen Vater bitten, er solle am Heiligen Abend Briefe schreiben. Doch keiner würde sie zur Kenntnis nehmen. Was würde das beweisen?

Kein Mensch erkennt die wunderbare Arbeit des Jugendamtes von Münster einfach so. Das beweist gar nichts. Die wichtigsten Protokollnotizen und die meisten Akten bleiben meistens unsichtbar. Die Verfahrenspflegerin, die es auch noch gibt, zum Beispiel. Wenn sie an ihrer Schreibmaschine sitzt und sogar einen Patenonkel von deinen beiden kleinen Freunden fernhalten will. Trotzdem gibt es diese Verfahrenspflegerin.

All die Schriftstücke zu denken - geschweige denn, sie zu verstehen - das vermag nicht der Klügste auf der Welt. Nur das Jugendamt von Münster.

Du kannst im Flur dieses Jugendamtes auf und ab gehen, du kannst die Aktenschränke aufbrechen. Du wirst einige Blätter finden, nichts weiter. Warum? Weil es einen Schleier gibt, den nicht einmal alle Gewalt auf der Erde zerreißen kann. Nur das Jugendamt und die Verfahrenspflegerin können ihn lüften. ´Ist das denn auch wahr?´ kannst du fragen. Virginia, nichts auf der Welt ist wahrer und beständiger.

Das Jugendamt von Münster lebt, und ewig wird es leben. Sogar in zehn Mal zehntausend Jahren wird es noch da sein, um Kinder, wie deine kleinen Freunde, zu trennen.

Besuch mal die Hafenstraße, Virginia!"